Wenn man sich vorgenommen hat, in 15 Videos über Langspielplatten so einiges abzustecken – Rock, Pop, Folk, sieben Jahrzehnte -, dann bleibt es nicht aus, dass einige dieser LPs unbekannter sind als andere. Ja, es müssen unbedingt auch gemeinhin als obskur geltende Veröffentlichungen vorkommen. Denn die Welt der Popmusik ist gross, grösser, am Grössten, und davon bekommt man nicht wirklich eine Ahnung, wenns „nur“ um die Stones, Dylan und Bowie geht. Gut, die drei kommen ehrlich gesagt gar nicht vor in meiner Youtube-Reihe „15 Platten“, dafür aber Black Sabbath, Pink Floyd oder Tocotronic. Und wenn man die Klicks der bisherigen Folgen ernst nimmt, dann sind offenbar Black Sabbath 4,25 mal attraktiver als Jessica Pratt. Was nach Meinung Ihres demütigen Videoplapperers natürlich völlig falsch ist. Aber was soll man machen? Vermutlich wird auch die Folge, die sich mit „Falling off the Lavender Bridge“ von Lightspeed Champion beschäftigt, nicht zu den „Hits“ gehören. Dabei besteht diese 2008er-Platte erstens aus extrem zugänglichem und harmonischem, um nicht zu sagen harmoniesüchtigem Americana-Pop, und zweitens heisst Lightspeed Champion heute Blood Orange. Unter diesem Namen macht er, wenn er nicht gerade für gut verkaufende Künstler:innen wie Clams Casino, Kylie Minogue oder Chemical Brothers arbeitet, ziemlich erfolgreich verschattete, elektronisierte Urban Music. „Falling off the Lavender Bridge“ hat der Champion im Alter von 21 Jahren in Omaha, Nebraska, mit Musiker:innen des nicht unlegendären Labels Saddle Creek (Bright Eyes, Big Thief) aufgenommen. Der Gesamtsound ist von bestechender Klarheit. Streicher, Holzbläser, Slide-Gitarre, schicksalstrunkener Gesang, alles ist da von leichter Hand an die richtige Stelle gesetzt, egal ob ein Lied wie „All to Shit“ eine Minute dauert oder wie „Midnight Surprise“ zehn. 12 Lieder lang erzählt der Sänger von Schlaflosigkeit, Fehlverhalten in der Öffentlichkeit, Nachtvorstellungen in Kinos und Selbstzweifeln, er arbeitet sich an der Welt ab, ohne gegen sie anzuschreien, sondern unter Einsatz einer lakonischen, gut orchestrierten Melancholie. Man muss diese Musik wunderschön nennen, und wenn man mal bemerkt hat, wie eigenwillig und konsequent hier Teile und Ideen zu Songs gebaut werden, dann hat man auch schon bemerkt, dass in der vermeintlichen Harmlosigkeit eine enorme Sehnsucht nach Freiheit steckt. Ganz zum Schluss wird das mit dem nicht enden wollenden Streichersatz von „No Surprise (For Wendela)“ ein letztes Mal klar. Ein bisschen ein Wunderkind ist dieser Lightspeed Champion. Und, ach ja, in echt heisst er Devonté Hynes. https://www.youtube.com/@DukGef 12. Platte von 15: «Falling off the Lavender Bridge», Lightspeed Champion, 2008, Domino
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