Vielleicht bin ich ein Schwachmat, aber ich würde sagen: Wenn man in 15 ca. 20-minütigen Videos über schöne Platten der Pop- und Rockgeschichte schwadroniert, bleiben Fehler nicht aus. Man kann noch so viel recherchieren, in der Hitze des Kamera-Gefechts sagt man dann doch Sachen, die man nur glaubt, die aber einer Überprüfung nicht standhalten. Zumindest, wenn man ein Schwachmat ist. Im Fall des Lieds «Moon Dude» von Jessica Pratts Album «On Your Own Love Again» aus dem Jahr 2015 ist der Fehler folgender: Ich übersetze «escalators» mit «Aufzüge». Aber es sind natürlich Rolltreppen, die US-Songwriterin da besingt, wenn sie schildert, wie jemand von draussen nach drinnen schaut, wo die Rolltreppen summen und ihn/sie aus seiner/ihrer Einsamkeit ziehen. Aus zwei Gründen ist diese Stelle repräsentativ. Erstens ist Pratt eine Künstlerin, die ihre Texte von einer radikal privaten, radikal subjektiven, radikal poetischen Position aus schreibt. Und zweitens schält sich diese Zeile als veritable Killer-Melodie aus dem selbstvergessenen, unglaublich warm aufgenommen Gitarrengezupfe und –geschlage heraus, das die Basis von «Moon Dude» und allen anderen Liedern Pratts bildet. Solche Killer-Momente gibt es einige auf «On Your Own Love Again». Nur wenige Spuren wurden für diese Platte aufgenommen. Ein-zwei Gitarren, ein-zwei Gesänge, ein bisschen Orgel. Mehr benötigt Pratt nicht, um eine dichte Stimmung aus Melancholie, aus Wohligkeit und dem Suchen danach, aus Verlorenheit, Sehnsucht, Selbstgenügsamkeit und Fantasie herzustellen. Ihre Melodien sind so ungewöhnlich wie die Gitarrenakkorde, die sie wählt, aber sie sind keineswegs sperrig. Wichtig ist auch: Nicht jede Melodie muss mit einem Text oder – horribile dictu – einer Aussage versehen sein. Oft reicht es auch, die Vokale von Worten auszudehnen oder «Lalala» oder «Hum» zu singen. Das Bandrauschen von Pratts Vierspurgerät und bizarre «Produktionstricks» wie das unvermittelte Herunterpitchen von Gesang oder Gitarre sind die letzten Bausteine dieser warmen, selbstvergessenen Platte, die hier noch zu erwähnen sind. Seit 2015 hat Jessica Pratt nur noch zwei LPs veröffentlicht. Sie ist eine deklarierte Langsamschreiberin, und alle ihre Platten sind vergleichsweise kurz. Das heisst auch: Sie macht die Dinge so, wie sie ihrer durchaus idiosynkratischen Persönlichkeit entsprechen. Zu Beginn ihrer Karriere musste sie von Freund:innen angeblich gezwungen werden, auch live aufzutreten. Der Lohn dieser radikalen Subjektivität ist sparsame Musik, in deren Wärme und Selbstvergessenheit – um diese Schlüsselwörter hier angemessen unters Volk zu bringen - man ausgezeichnet versinken kann. Senken auch Sie Ihre Heizkosten mit «On Your Own Love Again»! https://www.youtube.com/@DukGef 5. Platte von 15: «On Your Own Love Again», Jessica Pratt, 2015, Drag City
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