Folge 11 meiner kleinen Video-Reihe «15 Platten» ist vermutlich die problematischste. Die Frage ist: Was sagt man zu einer Band, deren Sänger sich seit Entstehen der zu besprechenden Platte politisch unter anderem auch ziemlich bizarr geäussert hat? Am besten, so mein Vorschlag, diese «Sache» erwähnen, aber kurz und nur am Rande, denn die Haltung, Songs 40 Jahre später Scheisse finden zu müssen, weil man nicht mit allem einverstanden ist, was der extrem individualistisch veranlagte Sänger so gesagt hat in seinem Leben, ist eine Haltung, die ich eher schädlich finde für vernünftige Diskussionen. Darum verlassen wir das Thema «Die unergründliche Persönlichkeit Morrisseys» stanta pede wieder. Es geht um seine Band The Smiths und die Platte «The Queen Is Dead». Und man kann im Rahmen dieser Kolumne gar nicht genug sagen dazu, wie anti diese Band war, obwohl sie so melodische, im besten Sinne unspektakuläre Musik gemacht hat. Das grösste Anti ist: The Smiths sind vehement gegen jedes Machotum in der Pop- und Rockmusik angetreten. Man könnte sogar sagen, sie haben es entlarvt und lächerlich gemacht. Gibt es ein einziges Gitarrensolo in der Bandgeschichte? Ich glaube nein. Fest steht, dass Johnny Marrs Rhythmusgitarrenspiel hoch einfallsreich und trotzdem stets songdienlich ist. Fest steht, dass Mike Joyce am Schlagzeug nie angeberisch agiert, sondern einfach vor sich hin rollt. Fest steht, dass Andy Rourke am Bass schlanke Melodien liefert. Und fest steht, dass Morrissey mit seiner Stimme mäandert und schmachtet, mit seinen Armen uncool herumwedelt und mit seinen Texten ohne Rücksicht auf Geschmack und Konventionen einen verlorenen, unmännlichen Individualismus zelebriert. Gibt es eine radikalere Kapitalismus-Absage als «I was looking for a job and then I found a job and Heaven knows I’m miserable now»? Ich glaube schon wieder nein. The Smiths haben eine ureigene Form der Schönheit gefunden. Und der Höhepunkt dieser Schönheit, jedenfalls im LP-Format, ist «The Queen Is Dead». In «Cemetry Gates», einem Pop as Pop can Lied, wird auf dem schattigen Friedhof umhergewandert, Oscar Wilde abgefeiert und eine charmant unklare Haltung zum Thema «Plagiate» formuliert. In «The Queen Is Dead» sagt der Titel schon alles, und die Musik ist etwas vom Heftigsten, das The Smiths produziert haben. In «Frankly Mister Shankly» wird ein Vertreter der Musikindustrie zu einem leichten Polka-Rhythmus brutal fertiggemacht. Und «There Is a Light That Never Goes out» ist pure Schicksalstrunkenheit samt einem tragischen Todesfall und verzahnten Holzbläser- und Streicherarrangements. Und so weiter und so fort. Anti und schön. Wenig ist das nicht. https://www.youtube.com/@DukGef 11. Platte von 15: «The Queen Is Dead», The Smiths, 1986, Rough Trade
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