The Shining – Das Homeoffice als Todesfalle

In mancher Hinsicht scheint The Shining aus einer anderen Zeit zu stammen, einer Zeit, die man gerne überwunden glauben will. In Stanley Kubricks Film aus dem Jahr 1980 obliegt die materielle Versorgung der weißen Familie dem Manne. Es steht nie in Frage, dass Jack Torrance von Frau und Kind zu seinem neuen Arbeitsort – einem Luxushotel in den Bergen Colorados – begleitet wird, fünf einsame, kalte Monate lang. Und obwohl seine Frau Wendy ein „confirmed ghost story and horror film addict“ ist, wie Jack seinem Boss gegenüber behauptet, erzählt er ihr nie, dass in diesem Hotel ein früherer Winter-Hausmeister seine Familie mit der Axt zerstückelt und danach Selbstmord begangen hat. Sie könnte ja – Gott behüte – Einwände haben, und er ist doch „outlining a new writing project“, da soll auf gar keinen Fall etwas dazwischenkommen.

Andererseits scheinen Arbeit und Versorgung so gar nicht Jacks Stärken zu sein. Ein einziges Mal sieht man im Film jemanden die Heizungsleistung kontrollieren. Es ist Wendy. Wendy bereitet auch das Frühstück zu, und Wendy hält per Funk Kontakt zur Aussenwelt, als das Wetter garstig wird. Jack braucht nur Ruhe und Zeit, keine Ablenkung darf ihn ereilen, er ist der Kreative, der männliche Schöpfergeist, auf den die Familie Rücksicht zu nehmen hat.

Freilich wird er auch in dieser Rolle versagen und nur einen einzigen, sich auf Hunderten Seiten wiederholenden Satz zu Papier bringen. Kurz: Das Modell Homeoffice (hier als Wohnen am Arbeitplatz) kommt nicht gut weg in The Shining. Verstörung, Wahnsinn, Mordlust entwickeln einen fürchterlichen Sog. Um den „tremendous sense of isolation“ in der tief verschneiten Bergwelt, vor dem Jack gewarnt wird, geht es dabei nur am Rande. Im Zentrum steht der Wunsch des Mannes nach gesellschaftlichem Aufstieg, nach Prestige, dieser Wunsch leitet Jack, als auch er schließlich im Rahmen der Heimarbeit zur Axt greift. Und diesen Wunsch darf nichts und niemand stören. Schon gar nicht die Ehefrau – „I’ve let you fuck up my life so far but I’m not gonna let you fuck this up“ – und der Sohn Danny, obwohl der sich nach Jacks Darstellung selber Verletzungen beigebracht hat.

Die berühmte Szene, in der Jack seine Frau durch die gesamte riesenhafte Colorado Lounge hindurch attackiert, nachdem diese sein Versagen als Schriftsteller entdeckt hat, ist dermaßen bedrohlich und nervenzerfetzend, dermaßen gelungen als endgültiger Ausbruch des Horrors inszeniert, dass das, was Jack sagt, in den Hintergrund tritt. Was gibt er von sich, als er erfährt, dass Wendy das Hotel verlassen und mit Danny zum Arzt gehen will? „Are you concerned about me? (…) Have you ever thought for a single solitary moment about my responsibilities to my employers? Has it ever occurred to you that I have agreed to look after the Overlook Hotel until May the first? Does it matter to you at all that the owners have placed their complete confidence and trust in me and that I have signed a letter of agreement, a contract, in which I have accepted that responsibility? Do you have the slightest idea what a moral and ethical principle is, do you? Has it ever occurred to you what would happen to my future if I would have failed to live up to my responsibilities?“

Es ist dieser Ausbruch von Loyalität gegenüber seinen Vorgesetzten, der Wendy klar macht – man sieht es in ihrem Gesicht, ihrem Umherschauen, ihrer Fassungslosigkeit –, dass ihr Mann komplett einen an der Waffel hat. Dass er zur tödlichen Gefahr geworden ist.

Jack Torrance kommt mit der Vermischung von Berufs- und Privatleben nicht zurecht. Demütigungen, Anforderungen und Aufstiegsaussichten werden an ihn herangetragen. Der Hotelgeist Grady wirft Jack vor, dass er seine Familie nicht unter Kontrolle hat. Jack erträgt die Vorstellung nicht, daheim in Boulder Hauseinfahrten freischaufeln oder in einer Autowaschanlage arbeiten zu müssen, um genug Geld nach Hause zu bringen. Das Overlook Hotel hingegen erscheint ihm als Verheißung, und es ist unerheblich, ob diese Verheißung nur eine Ansammlung von Jacks eigenen Projektionen ist, ob also die Geister im Hotel echt sind oder nicht. Das Overlook, das den Blick von oben – ob überblicken oder mustern – in sich trägt, ist die Gebäudewerdung eines hierarchisch strukturierten Wirtschaftslebens.

Als Opfer zum eigenen Amusement sucht es sich die Frauen und die Kinder aus. Diese beiden – Wendy und Danny – können allerdings entkommen, weil Wendy sich zur Wehr setzt und Danny seinen Vater mit gewaltlosem Körpereinsatz (dem Zurücksteigen in den eigenen Fußstapfen) überlistet. Kollateralschaden dieses Wirtschaftsszenarios ist der Tod eines Schwarzen: Dick Hallorann, der „nigger cook“, wie Grady es in lupenreinem Kolonisatoren-Englisch sagt, wird am Ende von The Shining Jacks einziges Mordopfer sein.


Dieser Text bezieht sich auf die 115-minütige europäische Fassung des Films. Stanley Kubrick hat die 142-minütige US-Fassung nach den ersten Vorführungen gekürzt, soweit bekannt ohne Druck des Filmstudios.
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